Parallelen in den Handlungen

In diesem Abschnitt werden die verschiedenen Aktivitäten und Handlungsweisen von Aikido und Mediation verglichen. Da die entsprechenden Vorgehensweisen in den Abschnitten über Mediation und Aikido bereits dargelegt sind, kann das hier sehr knapp gehalten werden.

Synchronisieren

Der Vertrauensaufbau in der Mediation soll zur mediativen Allianz führen. Beim Aikido wird ebenfalls eine enge Verbindung angestrebt, indem der Verteidiger mit dem Angriff verschmilzt („blending“). Im Idealfall wird diese so stabil, dass der Angreifer sich nicht lösen kann („Ki musubi“).

In beiden Fällen wird eine Gemeinschaft von zwei Personen angestrebt. Diese ist nicht symmetrisch, sondern der Angreifer/Mediand wird an den Verteidiger/Mediator „angedockt“. Entsprechend ist es auch die Zielsetzung oder Aufgabe des Verteidigers/Mediators, diese Verbindung zu erzeugen. Sie bildet die Grundlage für die folgenden Techniken, damit „sich etwas bewegen kann“.

Sichtweise einnehmen – in die Haut des anderen schlüpfen

Eng verwandt und eigentlich nicht ganz davon zu lösen ist das Einnehmen der Perspektive des anderen. Der Mediator erreicht das durch Verstehen wollen und vertieft es durch Rückfragen. Insbesondere durch das Zusammenfassen und Spiegeln erhält der Mediand die Rückmeldung, dass seine Sichtweise angekommen ist und dass seine Perspektiven und er als Person akzeptiert und nicht bewertet werden.

Der Aikidoka macht letztendlich genau das Gleiche, aber auf physischer Ebene und ohne Worte. Das wird besonders durch die Prinzipien „Irimi“ und „Kaiten“ evident. Viele Aikido-Techniken beinhalten sogar die Vorstellung, den räumlichen Platz des Angreifers einzunehmen – das ist eng mit dem Inhalt des folgenden Abschnitts verbunden.

Eine wesentliche Grundlage jeweils ist das Akzeptieren. In der Mediation wird betont, dass die Medianden möglichst nicht bewertet werden. Im Aikido wird gelehrt, dass der Angriff, die Situation und die Randbedingungen zu akzeptieren eine notwendige Grundlage sind. Auch hier ist das Nicht-Bewerten insbesondere im Sinne eines „Nicht-Verdammens“ Grundlage dafür, eine nicht-konfrontative Lösung anzustreben.

Leading Control entspricht Mäeutik

Hat der Mediator die Position des Medianden eingenommen, kann er mit ihm gemeinsam erarbeiten, was die Folgen sind, wenn man den Vorschlag hinter der Position zu Ende denkt. Typischerweise kommt dabei heraus, dass nicht alle Interessen befriedigt sind – die der Gegenseite nicht, aber auch die des Medianden nicht. Das geschieht dann, wenn der Mediand sich über seine Interessen und Bedürfnisse beim Aufstellen der Position gar nicht klar gewesen ist.

Das Konzept von Leading Control ist das passende Aikido-Äquivalent. Aus der Position des Angreifers – dem Angriff – heraus wird die Angriffs-Energie aufgenommen und weitergeleitet und diese Position als Lösungsvorschlag für die Situation ad absurdum geführt. Der Angreifer findet sich auf dem Boden liegend wieder, er hat seine Position losgelassen. Durch die Verwendung von Kreis- und Spiralbahnen (physische Ebene und Energie-Ebene) und das Konzept der Widerstandslosigkeit wird die Aggression reduziert, da keine Konfrontation entsteht.

Leading Control und Mäeutik beginnen schon beim Synchronisieren. Im Doing sind die drei letzten Punkte nicht wirklich voneinander zu trennen. Das wird im folgenden Abschnitt nochmals zusammengeführt, indem die Parallelen in den Abläufen aufgezeigt werden. Dadurch wird auch nochmals klar, dass der Mediand oder Angreifer Konflikt-Energie in das System einbringt. Der Mediator oder Verteidiger verwendet diese dem Konflikt innewohnende Energie, um die jeweilige Verbindung zu schaffen. Auf deren Basis hilft er dem Gegenpart, sich auf eine neue Perspektive und Bahn zu begeben, die dessen jeweiligen Bedürfnissen auch näher liegen (Stichwort Selbsterkenntnis).

Gegenüberstellen der Abläufe

Die innewohnenden Parallelen des Phasen-Modells der Mediation und des zeitlichen Ablaufs einer Aikido-Begegnung sollen hier stichpunktartig aufgestellt werden. Für die Seite des Aikido gehen wir von einer Angriffs-Situation „auf der Straße“ aus.

  1. Einleitungs-Phase

    Die Wahrnehmung des bevorstehenden Angriffs zusammen mit dem Setting entspricht der Einleitungsphase. Wie viele Personen sind beteiligt? Wie ist die Umgebung? Welche Waffen sind im Spiel? Wie scheint die Intensität?

  2. Themen-Sammlung

    Der Beginn des eigentlichen Angriffs entspricht dem Moment, in dem der Angreifer sein zentrales Thema nennt. Der Aikidoka verlässt die Angriffslinie und stellt den Kontakt her. Der Übergang in die Interessen-Findungsphase ist auf der Straße sicherlich – und hoffentlich – fließend.

  3. Interessen-Findung

    Die Verbindung wird intensiviert, möglichst bis der Angreifer sie nicht mehr trennen kann (Ki musubi). Der Moment, in dem das Gleichgewicht des Angreifers verloren geht (Ku-zushi), entspricht der Aufgabe der initialen Position. Die Bewegung läuft auch danach weiter. Angreifer und Verteidiger befinden sich jetzt auf einem Weg um ein gemeinsames Zentrum.

  4. Lösungs-Findung

    Wie die Bewegung abgeschlossen wird, hängt davon ab, welche Impulse von Seiten des Angreifers kommen und in welchem Stadium der Entwicklung der Verteidiger ist. Klar ist, dass eine deeskalierende Lösung entsteht.

  5. Abschluss-Vereinbarung

    Sobald diese Lösung entstanden ist, wird sie in Form einer Aikido-Technik (Waza) auch für Außenstehende sichtbar. In der Abschluss-Position nach einem Wurf oder in einem Hebel kann der Angreifer sich die Situation nochmals vor Augen führen und es kommt zur nachträglichen Zustimmung.

Abschließender Kommentar: Dieser Vergleich geht insbesondere von einer idealen Aikido-Antwort auf die Angriffs-Situation aus, in der alles bestens funktioniert. Auf der anderen Seite wird auch ein idea-isierter Mediationsablauf betrachtet. Die Abläufe passen nicht ganz aufeinander, das Ziehen der Parallelen ist aber durchaus berechtigt. Nicht zuletzt, weil ein großer Teil des Unterschieds aus den verschiedenen behandelten Konfliktarten herrührt, beispielsweise der zeitliche Gesamtrahmen.

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