In diesem Abschnitt soll über die möglichen Zielsetzungen bei einer Mediation berichtet werden. Das Feld hier ist weit und weiter in der Diversifikation begriffen, daher muss eine Darstellung unvollständig bleiben. Beworben wird die Mediation häufig als Alternative zum Gerichtsverfahren und läuft als Alternate Dispute Resolution Verfahren (ADR). In diesem Ansatz wird die tatsächliche Konfliktlösung in den Vordergrund gestellt. Es gibt aber noch weitere Ziele in der Mediation. Das soll in den folgenden Abschnitten knapp ausgeführt werden.
Projekte der Mediation nach Breidenbach
Eine der Vorgehensweisen zur Charakterisierung der möglichen Zielsetzungen einer Mediation folgt der Struktur nach Breidenbach. Dort werden die folgenden “Projekte” oder „Typen“ beschrieben:
- Bei Service Delivery geht es darum, für einen konkreten Konflikt eine Einigung der Parteien herbeizuführen. Die Zielsetzung besteht im Erreichen der Konfliktbeilegung mit höchster Effizienz. Die Behandlung von Emotionen steht außerhalb dieser Zielsetzung.
- Beim Access-to-Justice-Gedanken wird das Ziel verfolgt, Personen zu ihrem Recht zu verhelfen, denen – zumindest für den vorliegenden Fall – der Zugang zum Rechtssystem nicht offen steht.
- Beim Projekt-Typ Individual Autonomy geht es neben dem Fokus auf Selbstbestimmtheit und Selbstverantwortung der Konfliktparteien und um die Vermittlung persönlicher Fähigkeiten, zum Beispiel Konfliktlösungskompetenz, die auch in zukünftigen Konflikten hilfreich sein können.
- Die Zielsetzung beim Typ Reconciliation besteht in der Entwicklung der Beziehung der Konfliktparteien hin auf eine Versöhnung. Es geht darum, die Sichtweise der anderen Seite zu kennen und anzuerkennen, gefolgt von einer wirklichen Befriedung der Beziehung einschließlich einer neuen gemeinsamen Wahrnehmung des Miteinanders. Ähnlich zum Individual Autonomy-Projekt wird hier der Weg über das persönliche Wachstum der Parteien verfolgt.
- Beim Social-Transformation-Ansatz besteht das Ziel darin, die Gesellschaft weiter zu entwickeln, insbesondere in Bezug darauf, dass sie als System verantwortlicher, konstruktiver und konsensualer mit ihren Konflikten und deren Beilegung umgeht als heute.
Welche Ziele letztendlich in einer Mediation verfolgt werden, obliegt einerseits den Bedürfnissen der Medianden, andererseits aber auch der Werte-Ausrichtung des Mediators. Damit liegt auch hier wieder ein starker Schwerpunkt auf der Eigenverantwortung aller Personen, was gegebenenfalls dem Individual-Autonomy-Gedanken eine Emphase verleiht.
Transformative Mediation
Mittlerweile hat sich zusätzlich die Unterscheidung zwischen der evaluativen und der transformativen Mediation etabliert. Während die evaluative Mediation Litigations-nah positioniert ist und auf Basis der Untersuchung (Evaluation) der rechtlichen Situation einem Konflikt eine Verhandlungsbasis zu schaffen versucht, liegt bei der transformativen Mediation ein gänzlich anderer Ansatz zu Grunde. Die zentrale Annahme besteht darin, dass die Konfliktteilnehmer als größte Schwierigkeit des Konflikts wahrnehmen, dass sie nicht „sie selbst“ sein können und dass ihre Verbindung zu den anderen Konfliktteilnehmern leidet. Ihr Miteinander wird auf eine Art und Weise verzerrt, wie es nicht zu ihrem Selbstbild passt.
Die transformative Mediation hat damit zum Ziel, den Medianden wieder zu einem konstruktiven, positiven, verbindenden und humaneren Umgang mit seinen Konfliktpartnern zu verhelfen, sodass letztendlich die Konfliktlösung auf Basis dieses geänderten Umgangs selbst erarbeitet werden kann. Die zentralen Vehikel sind dabei die Verbesserung der eigenen Stärke oder Autonomie sowie der Wahrnehmung der anderen („responsiveness“) durch „empowerment“ und „recognition“ .
Konflikte als Chance
In der Mediation wird auch betont, dass in Konflikten verschiedene Chancen wohnen. Der Mediand, der eine erfolgreiche Mediation miterlebt, hat potenziell nicht nur eine Konfliktlösung als Ergebnis, sondern kann auch seine eigenen Kompetenzen im Umgang mit Konflikten entwickeln. Zu den erworbenen Erkenntnissen, Einsichten und Fähigkeiten können gehören:
- Bessere Selbsterkenntnis: Verständisgewinn über die eigenen Anliegen, Wertungen und Gewichtungen – über Vorurteile und Befindlichkeiten.
- Gegenseitiges Verstehen: Erkenntnisgewinn über die Anliegen anderer Leute. Aber auch: die Wichtigkeit, dass gegenseitiges Verstehen konfliktmindernd wirkt.
- Hilfreiche Kommunikationsformen: deeskalierende und klärende Kommunikationstechniken kennen, anstatt eskalierend destruktiver Vorgehensweisen; Bekanntschaft mit Manipulations-Methoden sowie der Verfügbarkeits-Heuristik.
- Strategien konstruktiver Konfliktbeilegung: Vorgehensmodelle, eine für alle Seiten gewinnbringende Lösung (Win-Win) zu erarbeiten, zum Beispiel Kreativitäts-Techniken.
- Verständnis zu normativen Erwartungen und Ansprüchen: Problematik dogmatischer Ansätze erkennen sowie, dass nicht vereinbare Überzeugungen zu Normen zum Dilemma führen können.
- Erfolg von selbstverantwortlich erarbeiteten Vereinbarungen: Die Erkenntnis, wie ein autonom ausgehandelter Vertrag einen Konflikt befrieden kann. Das Erlebnis positiver Konsequenz eigenverantwortlichen Handelns stärkt die Eigenverantwortlichkeit – besonders im Umgang mit anderen.
- Soziale Verantwortung: Die Einbettung der eigenen Konfliktlösung in den Kontext des Schutzes der Rechte Dritter überführt die Eigenverantwortlichkeit in die Übernahme sozialer Verantwortung.
Alle diese Erkenntnisse, Änderung von Überzeugungen, Einstellungen und Sichtweisen, die aus dem eigenen Kompetenzerlebnis beziehungsweise dem Erleben folgen, dass Konflikte gelöst werden können, stellen eine Entwicklung dar, die für alle Beteiligten (und gegebenenfalls auch Unbeteiligte) gewinnbringend ist. Da das über das eigentliche Mediationsverfahren hinaus weiter Bestand hat, kann hier von „nachhaltigen Entwicklungsgewinnen“ gesprochen werden, die insgesamt zur „selbständigen produktiven Gestaltung der sozialen Beziehungen“ beitragen. Letztendlich ist dies stark mit der Tatsache gekoppelt, dass eine Problembewältigung eine Bereitschaft zur Veränderung voraussetzt.
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